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Im Gespräch über
Inspiration, Mut und
leere Räume

MIT EVI MALEK UND GEORG HERBST

Ihr seid erfolgreiche Architekten, deren Welt voll von Inspiration ist, jedenfalls dann, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht. Was inspiriert Euch ganz besonders?

 

GH 

Ich bin stets auf der Suche nach Qualität. Sie inspiriert mich. Ganz egal ob Grafik, Technik, gutes Essen oder Kunst. So wie zuletzt die Anselm Kiefer Installation im Pirelli Hangar Bicocca in Mailand. Anselm Kiefer hat 15 Jahre lang an dieser Ausstellung gearbeitet, das berührt mich. Ich könnte ganze Stunden damit verbringen diese Arbeiten anzusehen. Ich bin inspiriert von der Leidenschaft und dem hohen Grad an Auseinandersetzung der in diesen Dingen steckt. 

 

EM 

Mich inspirieren vor allem Alltagssituationen, aber auch Kunst, Film und Architektur. Die gute, wie auch die schlechte. Denn man lernt aus jeder Situation und versucht es selbst besser zu machen. Das wirklich Gute fällt einem meist gar nicht auf, das Schlechte hingegen fällt sofort ins Auge. Deshalb diskutieren Georg und ich viel mehr über schlechte Beispiele, als über gute. Das Gute hält man ohnehin für selbstverständlich. Dabei ist es alles andere als das. Es ist nicht immer greifbar was einen Raum ausmacht. Meist sind es Kleinigkeiten wie Holzdielen, Fugen, fehlende Sockelleisten. Einem Laien würde das gar nicht auffallen, wir achten aber ganz besonderes darauf. Es sind Dinge die am Punkt sind. Die Liebe und die Inspiration steckt also wie so oft im Detail. 

 

GM

Wir sind beide auf der Suche nach einer Art von Selbstverständlichkeit, die es leider immer seltener gibt. Das Selbstverständliche übt für uns die größte Faszination aus, weil es in sich ruht und dabei so unglaublich stark ist. 

Architektur ist wie Stein etwas was bleibt. Das gilt für gute, wie für schlechte Architektur. Wie geht ihr mit dieser Verantwortung um?

 

 GH

Akribisch. Gute Architektur kann nur entstehen, wenn man seine Aufgaben richtig gemacht hat. Bei uns beginnt das meistens bei der Grundlagenermittlung. Wenn ich die nicht erledigt habe, kann ich nichts darauf aufbauen. Der angemessene Umgang mit einer Situation ist sehr wichtig. Dabei geht es nicht darum, dass Architektur laut ist. Stattdessen bemühen wir uns dem Thema das wir vorfinden gerecht zu werden. Anders ist die von uns angestrebte Selbstverständlichkeit nicht zu erreichen. 

 

EM 

Architektur macht man nicht für einen Menschen oder für eine Generation, sondern für viele Menschen und für viele Jahre. Damit schafft man immer auch etwas für die Umgebung und trägt Verantwortung für die Zukunft.

 

Es gibt Bauwerke, die scheinen über den Faktor Zeit erhaben zu sein. Was braucht es um ein solches Bauwerk zu erschaffen? Kann man so etwas überhaupt planen, oder ist es vielmehr das Zusammenspiel vieler Faktoren die nicht allein in den Händen der Architekten liegen?

 

EM 

Ja, das ist es immer. Das Gestalten ist eine Sache, ein Gebäude für Menschen und Funktionen zu schaffen, eine andere. Das hat nichts mit Kunst oder gar einem Kunstwerk zu tun. Das ist präzise Arbeit, bei der man zu jedem Zeitpunkt weiß was man tut. Man muss Zusammenhänge verstehen, die Umgebung richtig deuten und dann mit und an ihr arbeiten. 

 

GH 

Dinge die über die Zeit bestehen, gehen mit den Gegebenheiten angemessen um.  Es werden Materialien verwendet die durch die Zeit besser werden. Man hat sich mit jedem Detail so lange beschäftigt, dass es nicht nur im Hier und Jetzt funktioniert, sondern auch in der Zukunft. Das macht den Unterschied aus. Man muss die Rahmenbedingungen beachten um neue Rahmenbedingungen zu schaffen und Empathie für den Ort entwickeln können. Das geht nicht allein, sondern nur im Zusammenspiel aller Beteiligten.  

Was uns auszeichnet ist eine klare Formensprache. Zusammen mit erlesenen Materialien verleiht das unseren Planungen Charakter.

Gibt es in Eurem Schaffen etwas was sich wie ein roter Faden durch die Projekte zieht? Etwas das bei aller Unterschiedlichkeiten der Bauten zu euer Signatur, zu eurem Markenzeichen geworden ist?

 GH 

Wichtig ist ein zentraler Entwurfsgedanke. Er ist das Herz unserer Arbeit, von ihm geht alles aus. Wir gestalten kein oberflächliches Design, die Dinge entwickeln sich vielmehr aus der Funktion. Wir arbeiten von innen nach außen. Farben entwickeln sich aus der Materialität. Wir wollen nichts lackieren oder streichen, denn in der Natur passt ohnehin alles zusammen. Die Dinge fügen und finden sich meist ganz wie von selbst.  

 

EM 

Zuallererst geht es darum einen Raum abseits der Oberflächen zu gestalten. Es ist egal ob Stahl oder Beton verwendet wird, die wichtigste Voraussetzung ist der Raum selbst. Danach geht man auf die Bedürfnisse des Nutzers ein. Wenn der Raum erst einmal funktioniert, braucht es nur noch die richtige Portion Feingefühl und alles ergibt sich von selbst. Dann werden auch die Materialen klar. Das schönste Material wird wertlos, wenn es nicht richtig eingesetzt ist.  

 

In der Praxis hat Architektur oft auch mit bürokratischen Hürden zu tun, sie endet daher oft in einem Kompromiss. Man könnte fast meinen die Form folge dem Paragraf. Wie sehr prägen gesetzliche Richtlinien die von uns allen gestaltete Umwelt?

 

GH 

Ich seh das ein bisschen differenzierter. Natürlich machen uns manche Bestimmungen das Leben nicht gerade leichter, aber das gehört für mich zum Erarbeiten der Grundlagen. Wenn ich meine Vorgaben kenne, gibt es auch keine bösen Überraschungen. Wenn ich die Grundlagen negiere, werden irgendwann Kompromisse nötig. Die Rahmenbedingungen, und damit meine ich nicht nur das Gesetz, sondern auch die Topografie, den Menschen und die Natur, sind die wichtigsten Grundvoraussetzungen unserer Arbeit. Die besten Projekte entstehen unter den schwierigsten Bedingungen, weil man in solchen Situationen einfach noch mehr gefordert ist und noch länger nachdenken muss. Klar gibt es unnötige Paragrafen, die wollen wir uns aber nicht zu Feinden machen. 

 

EM 

Wir haben aufgehört über ein Gebäude zu urteilen, ohne dessen Rahmenbedingungen zu kennen. Denn auch das vom Bauherren vorgegebene Budget kann eine Einschränkung bedeuten. Es geht darum die Möglichkeiten genau zu analysieren, Wege von vornherein auszuschließen. Dann gibt es aber auch keine Enttäuschungen oder ein böses Erwachen. Falsche Voraussetzungen führen zu falschen Entwürfen. Man kann auch mit kleinen Budgets Großes schaffen. Gute Architektur muss nicht teuer sein, sie geht nur penibel und intelligent mit den Fakten um. 

Der japanische Grafik Designer Kenya Hara sagte einmal, dass leere Räume wie ein Vakuum sind, eines dass die Menschen dazu bringt sie mit Inhalt füllen zu wollen. Die Leere müsse also gefeiert werden, ist sie doch der Rohstoff der Gedanken und damit der Kreativität. Wie wichtig sind für Euch leere Räume und kreative Freiheit?

 

GH 

Räume tragen ihren Charakter bereits in sich, sie sind also nie wirklich leer. In unserer Welt müssen sie auch dann funktioniert, wenn sie unmöbliert sind. Räume müssen die eigenen Lebensphasen mitmachen und aushalten. Schließlich bleibt man ja nicht der der man ist. Jeder Raum braucht deshalb die Möglichkeit, sich mit den Menschen die in ihm leben zu entwickeln. Ein Raum lebt nicht davon, dass man ein Sofa reinstellen kann, er muss auch ohne dieses Sofa auskommen können.  

 

EM 

Es gibt leere Räume, die haben eine gewisse Qualität. Man spürt sie bereits, wenn man sie betritt. Das gilt vor allem für alte Häuser. Da reicht es vielleicht schon einen schönen Boden zu machen. Wir versuchen auf diesen leeren Raum einzugehen und ihm zusätzliche Qualität zu verleihen ohne den Grundcharakter zu vernichten. Manche Dinge kann man künstlich nicht erzeugen, sie sind einfach da. Das muss man spüren.

Jeder Raum braucht die Möglichkeit, sich mit den Menschen die in ihm leben zu entwickeln.

Welche Bedeutung hat das Material für die Qualität eines Baus? Inwieweit gehören Theorie und Praxis des Materials zu den Grundlagen der Architektur? Und welche Rolle spielen Bearbeitung, Fügung und Ordnung von Materialien für die Erscheinung eines Gebäudes oder einer Stadt? Hat Material fast so etwas wie eine eigene Identität?

 

GH 

Material hat jedenfalls eine eigene Identität, gleichzeitig ist es aber auch identitätsstiftend. Oberfläche und Materialitäten sind extrem wichtig. Wenn ich meine Grundlagen nicht lerne, kann ich das Material seinem Wesen entsprechend nicht verwenden. Das sind meine Hausaufgaben, ohne die geht es nicht. 

 

EM 

Das Material entwickelt sich oft erst aus dem Gesamtkonzept. Für mich ist das ein funktionales Thema. Wenn ich es aus der Funktion heraus entwickle, dann ergibt sich ein Material von selbst. Eines das idealerweise passt. Das Material kann eine fehlende architektonische Qualität nicht ersetzen, aber es kann die Architektur wesentlich unterstützen. Das eine bedingt das andere. Kalte Materialien müssen mit warmen Materialien funktionieren, Stein mit Holz. All das muss im Vorhinein bedacht werden, damit im Nachhinein nichts hinzugefügt werden muss. Wenn Architektur nicht funktioniert, dann haben wir nicht genügend nachgedacht. 

Wenn Architektur nicht funktioniert, dann haben wir nicht genügend nachgedacht. 

Findet ihr ausreichend gute Leute die Eure Pläne umsetzen und wie gestaltet sich Eure Zusammenarbeit mit Handwerkern und anderen Professionisten.

 

GH 

Im Laufe der Zeit findet man die richtigen Menschen, Menschen die dasselbe Verständnis haben. Die Zusammenarbeit ist dann meist eine langfristige. Wir vertrauen einigen wenigen Leuten. Das macht die Dinge einfacher, denn man muss sich nicht bei jedem Projekt neu erklären, sondern nimmt Bezug auf ein gemeinsames Grundverständnis.  

 

EM 

Schön ist, wenn man nicht jedes Detail aufzeichnen muss, sondern Dinge auch einmal offen lasen kann und dem Wissen des Gegenübers überlassen darf. Heute versteigt man sich in der Planung oft in Details, ist übergenau und nimmt damit viel vorweg, ohne das Wissen der Umsetzer entsprechend miteinzubeziehen. Früher war das einfacher, da reichte oft ein gut gemachter Einreichplan und das Know-How der Beteiligten. Wir sitzen deshalb gerne mit den Professionisten zusammen und diskutieren Möglichkeiten ohne viel vorzugeben. Dann entsteht mehr als man das am Reißbrett gedacht hätte.  

 

GH 

Wenn man dasselbe Mindsetting hat, entsteht Großes. Wir könnten über Stein niemals so viel wissen wie ihr es tut. Es ist schön, dieses Wissen miteinzubeziehen und sich drauf verlassen zu können.

Peter Zumthor sagte einmal, er wolle mit seinen Bauwerken der Natur nahekommen und damit Umgebung entstehen lassen. Es ginge darum Raum zu erschaffen, ohne laut in eine bestehende Struktur einzugreifen und der Natur dabei eine Hauptrolle zu überlassen. Welche Rolle könnte Naturstein bei einem solchen Zugang spielen?

 

GH 

Peter Zumthor ist ein großer Denker, ich kann dem Gedanken viel abgewinnen. Es ist ein wunderbarer Zugang, der nicht nur in der grünen Natur funktioniert, sondern auch im urbanen Raum. Naturstein kann da eine Hauptrolle spielen, schließlich kommt er aus der Natur. Steine aus der eigenen Umgebung zu verarbeiten ist ein wunderbarer Gedanke, auch wenn er nicht immer realisierbar ist. In der Natur passt alles zusammen, womit wir wieder bei der Selbstverständlichkeit wären. 

 

EM 

Ich erinnere mich an ein Projekt im Wienerwald, bei dem sich der Bauherr ein Steinhaus nach kroatischem Vorbild gewünscht hatte. Das passte zwar nicht in die Gegend, aber er war nicht davon abzubringen. Als wir angefangen hatten die Substanz freizulegen, den Vollwärmeschutz des bestehenden Gebäudes entfernt hatten, kam ein uraltes Steinhaus zum Vorschein. Plötzlich war es da, genauso selbstverständlich wie ein Haus in Kroatien, nur eben im Wienerwald. Wir haben den Stein als Basis verstanden und ihm alle anderen Materialitäten untergeordnet. Deshalb hat das Haus auch ein Schieferdach erhalten. Alles andere hätte nicht gepasst. In solchen Momenten hat Architektur ein bisschen was von Archäologie. Je mehr wir über den Ort nachdachten, desto tiefer drangen wir in die Materie ein. Später haben wir erfahren, dass es in der Nähe einen Steinbruch gab, von dem die Steine für das Haus kamen. Dinge die kaum jemand mehr wusste, die unter Vollwärmedämmung und Mörtel vergraben waren. Plötzlich hatte das unscheinbare Haus eine Seele. Das schafft eine innere Zufriedenheit die man nur dann erlangen kann, wenn man bereit ist in die Tiefe zu gehen. Der Bauherr hat bekommen was er wollte, und wir haben eine Sehnsucht gestillt, ohne etwas imitieren zu müssen. Aus dieser wunderbaren Erfahrung haben wir dann sogar ein Buch gemacht. 

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